Sonntag, 5. August 2007

Thomas Wirth: Missing Links

Über gutes Webdesign, 2. Auflage München (Hanser) 2004, Euro 49,90, www.kommdesign.de

"Je wissender und erfahrener die Autoren, desto schlechter werden ihre Texte von Laien verstanden": Was Thomas Wirth ironisch als Naturgesetz des Schreibens bezeichnet, sollte sich jeder zu Herzen nehmen, der professionell schreibt. Dabei geht es in "Missing Links" gar nicht hauptsächlich um Sprache, sondern um die Wirkung von Navigation, Bildern und visuellen Elementen. Der Autor, Thomas Wirth, ist zwar promovierter Psychologe, schafft es aber entgegen dem von ihm formulierten "Naturgesetz" erfrischend leichtfüßig, die Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie für Nichtpsychologen verständlich zu machen.

Dialogorientiert, auf den Leser bezogen schreiben anstatt im Verlautbarungsstil, so lässt sich sein Kapitel "Über die Wörter" auf den Punkt bringen. Darf man lange Texte ins Web stellen, bei denen es notwendig ist, zu "scrollen", also den Bildschirmausschnitt zu verschieben? Thomas Wirth trägt die wichtigsten einschlägigen Studien zusammen, um zum höchst praktikablen Ergebnis zu kommen: "Es kommt darauf an. Und mein persönliches Rezept ist: Scrollen ist okay, wenn man etwas zu sagen hat. Dann wird gerne gescrollt - garantiert."

Vor allem aber Bilder und Symbole haben es dem Autoren angetan. Wann ist es sinnvoller, zur Visualisierung eines Sachverhaltes ein Diagramm einzusetzen anstelle einer trockenen Tabelle? Thomas Wirth zitiert nicht nur die einschlägigen Studien und ihre Fundstellen online, sondern zieht auch ein klares Fazit: Wenn es um Ausreißer oder sonstige auffällig abweichende Befunde geht, ist die grafische Darstellung der Tabelle eindeutig überlegen. Sollen exakte Zahlenwerte vermittelt werden, führt kein Weg an der Tabelle vorbei.

Unnütze Bilder, gibt es das? Haufenweise, wenn man den hübschen Beispielen aus "Missing Links" glauben darf. Vor allem die gestylten Gesichter, die einen von Firmen-Webseiten herab anblicken, vermitteln bestenfalls "Wir-lächeln-offen-und-kommunikativ" oder "Wir-schauen-total-nachdenklich". Solche schmückenden Elemente oder viele der beliebten animierten GIFs haben buchstäblich nichts zu sagen. Wenn man sie fragen würde, so Wirth, hätten derartige Bilder es nicht leicht, ihr Dasein zu erklären: "Ähh... na ja, wissen, wir sehen eben schön aus und schaffen Atmosphäre". Wirth nennt das schlicht "visuelles Bla-Bla".

Animationen irritieren den Betrachter so sehr, dass Thomas Wirth ihnen ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Der Ausflug in die Wahrnehmungstheorie führt zum einfachen Ergebnis: Was sich verändert und bewegt, könnte ja (a) uns fressen oder (b) uns verletzen oder aber (c) von uns gefressen werden. Deshalb schauen die meisten Menschen hin, wenn sich etwas bewegt. Dumm nur, wenn weder (a) noch (b) noch (c) zutrifft. Und ganz besonders schlecht, wenn auf einer Webseite gleich mehrerer solcher Elemente die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Selbst das Ignorieren erzeugt einfach Stress.

Noch schlimmer, wenn die Bilder etwas bedeuten sollen, was niemand versteht. Wer das lustige Ratespiel im Kapitel "Bilder zum Navigieren" gespielt hat, wird nie wieder auf die Idee kommen, eine Mini-Statistik als anklickbares Icon für den "Keyword-Report" einzusetzen oder einen grünen Pfeil für den Hinweis auf die kostenfreie Demoversion einer Software.

Wie erzeugt man denn nun Aufmerksamkeit? Dass man etwas zu sagen haben sollte, damit aus den "scannenden", also lediglich Text überfliegenden Lesern, "skimmende" Leser werden, die "hängen bleiben", versäumt Thomas Wirth an keiner Stelle zu sagen. Aber das Dissonanzgesetz, dem er im Kapitel "Über Aufmerksamkeit" einigen Platz widmet, bringt es für Journalisten wie für Werbetreibende auf den Punkt: mit Abweichen vom Vertrauten. Als Beispiel dient Wirth die blaue Banane, aber auch die lilafarbene Kuh.

Und was kommuniziert eigentlich die online so beliebte Baustelle ("under construction")? Thomas Wirth versetzt sich in den Besucher der Website und kommt zum Ergebnis: "Aus unerfindlichen Gründen interessieren wir uns mehr für unsere nicht existierenden Angebote als für Ihr Anliegen". Oder wie Paul Watzlawik sagen würde: Man kann nicht nicht kommunizieren.

Die zweite Auflage des Buchs ist im März 2004 erschienen und wurde insbesondere beim Design verbessert: größere Abbildungen, besser lesbarere Übersichten. Thomas Wirth wendet selbst an, was er lehrt - das macht das Buch umso wertvoller.

Maria Grotenhoff/ Anna Stylianakis: Website-Konzeption

Von der Idee zum Storyboard, Bonn (Galileo-Press) 2002, EURO 49,90

"Konzeptionierer" nennt Lutz P. Michel diejenigen Web-Arbeiter, die nicht vorwiegend gestalten, programmieren oder kaufmännisch tätig sind. Dort ordnet er die Online-Journalisten ein. "Website-Konzeption" schafft hier Klarheit: Um Online-Journalismus geht es Maria Grotenhoff und Anna Stylianakis gerade nicht in der Hauptsache. Die Autorinnen, beide aus dem Agenturbereich, gehen von der Projektarbeit in einer PR-Agentur aus, die den Kunde berät und ständig in den Prozess der Website-Konzeption einbezieht. Die abgebildeten Beispiele stammen zum größeren Teil aus der Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, aber auch Medien-Sites für "Business Channel", "Focus" oder Viva-TV" sind darunter.

Im Vordergrund steht bei diesem Buch die Konzeption von Unternehmens-, von Auftragskommunikation. Für beide, Journalisten wie PR-Leute, wird im vorliegenden Buch in nachvollziehbaren Schritten praxisnah beschrieben, was das heißt: Ein gutes Konzept muss vor dem ersten praktischen Schritt stehen. Deshalb handelt das erste Kapitel "Definition" im wesentlichen von der Strategie, die ein Auftraggeber mit seinem Web-Auftritt verfolgen will, und wie man sie entwickelt. Am Beispiel der fiktiven Website "Stylepark" zeigen die Autorinnen, wie das in der praktischen Umsetzung aussieht. Um die "Kreation", die Ideenfindung, geht es im zweiten Kapitel. Wie man das Konzept umsetzt, beschreibt das dritte Kapitel, während das vierte von der Entwicklung, das fünfte von der Produktion handelt. "Stylepark" begleitet den Leser durch sämtliche Kapitel, um die Theorie anschaulich werden zu lassen.

Die Schnittstellen zum Online-Journalismus stellen die Kapitel "Umsetzung" mit dem Abschnitt "Inhalte und Funktionen" und "Produktion" mit "Content-Handling" dar. Dabei geht es zunächst um das Storyboard, mit dessen Hilfe man die Idee umsetzt, und um die Nutzerführung, die Navigation. Beides wird an mehreren Beispielen anschaulich vorgeführt. Um den Workflow bei Wartung und Aktualisierung der Site geht es im Kapitel "Content-Handling". Hier werden nicht nur die Notwendigkeit, Personalressourcen realistisch zu planen, sondern auch Sinn und Zweck eines redaktionellen Leitfadens erläutert. Mit praktischen Beispielen aus den verschiedensten Bereichen - für E-Branding, eine Global Corporate Website, eine Interessengemeinschaft, eine E-Commerce-Website, eine Online-Community und ein Intranet mit E-Learning-Modulen - illustrieren die Autorinnen ihre Schritt-für-Schritt-Beschreibung beim Vorgehen.

Auf nahezu jeder Seite finden sich Screenshots, oft der Konzeption gegenübergestellt, Beispiel-Storyboards, Tabelle, Checklisten, Übersichten. Eine eigenständige Website zum Buch gibt es leider nicht; der Verlag stellt online lediglich Autorinnen und Inhaltsverzeichnis kurz vor. Um Text, Bild, Audio oder Video geht es hier nur am Rande. Handfestes Projektmanagement bei der Neu- oder Umgestaltung einer Website ist Thema der Autorinnen. Ihr Buch beginnt dort, wo Lehrbücher zum Online-Journalismus in der Regel aufhören: bei der Frage wie man eine komplette Site konzipiert. Deshalb und wegen seiner Praxisnähe ist das Buch in der Unterrichtspraxis als Ergänzung zu jedem der bekannten Online-Journalismus-Lehrbücher zu empfehlen.

Stefan Heijnk: Texten fürs Web

Grundlagen und Praxiswissen für Online-Redakteure, Heidelberg (dpunkt Verlag) 2002, Euro 35,00, www.texten-fuers-web.de.

"Ein Buch für Online-Redakteure in Medienunternehmen und für all jene Texter, die in PR-Agenturen oder Unternehmenspressestellen mit der Content-Planung und -Produktion für Websites befasst sind" - kann das gut gehen? Stefan Heijnk, selbst Journalist, versucht die Gratwanderung, in einem Atemzug die online-journalistischen Grundlagen für Journalismus und PR darzustellen. Dafür spricht, dass sich das Handwerk auf beiden Seiten des Schreibtischs einander annähert - dagegen sprechen die unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen, die von beiden Gruppen verfolgt werden.

Doch das Handwerk des Textens und Konzipierens ist in seiner Medienspezifik für beide Zielgruppen identisch, und Stefan Heijnk schafft es, die Besonderheiten des Online-Mediums deutlich zu machen. Dazu setzt er in großem Umfang Bildmaterial ein. Darin liegt die Stärke des Werks: Aus seinem umfangreichen Fundus an Website-Storyboards und Screenshots hat Heijnk ein anschauliches, wenn auch unsystematisches Sammelwerk für mehr oder weniger gelungene Storyboards geschaffen. Allein schon aus historischem Interesse - so manche der abgebildeten Websites sind nicht mehr online - lohnt sich die Anschaffung des Buchs.

Das erste Kapitel, "Site-Planung: Die Web-Variante des Blattmachens" beginnt Heijnk damit, die Ratlosigkeit eines gestandenen Journalisten zu referieren, was online gestellt werden soll und was nicht. Den Leitfaden, die Handlungsanweisung gibt das Werk nicht. Wie etwa die Einstiegsseite aussehen kann, dafür werden höchst unterschiedliche Beispiele gezeigt. Im Gegensatz zur sonstigen Journalismus-Literatur lehnt Heijnk die "Umgekehrte Pyramide" als Modell für den Textaufbau online ab. In Fragen, zu denen die Fachliteratur verschiedene Antworten kennt, gibt das Buch in der Regel die persönliche Meinung des Autors wieder. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit "Link-Dramaturgie: Mit Klickfallen auf Nutzerfang", "Print-Material fürs Web: Veredeln statt Schaufeln" und "Erzählen auf neue Weise: Web-Specials, HMPs & Co." Kommunikationsorientierte Formate im Web wie Weblogs, Foren oder Communitys kommen nicht vor, Nicht-Webbasiertes wie Mailinglisten und Newsletters ohnehin nicht schließlich geht es um "Texten fürs Web". Bei Definitionen, Klassifikationen und Checklisten greift Heijnk auf bewährte Literatur zum Online-Journalismus zurück, jedoch ohne explizit seine Quellen zu nennen. Auf eine vollständige Literaturliste zum Thema Online-Journalismus hat der Autor verzichtet; dafür enthält die Liste "ausgewählter Literatur" allein 31 kleine und kleinste Veröffentlichungen von Stefan Heijnk selbst. Die Website zum Buch bringt außer den bereits im Buch genannten Links und ausgewählten Leseproben wenig Weiterführendes.

Fazit: Wegen seiner Beschränkung auf die individuelle Erfahrung und Sichtweise eines Autors als alleiniges Lehrbuch in der Aus- und Weiterbildung nur bedingt geeignet; wegen der zahlreichen farbigen Abbildungen eine gute Ergänzung zu anderen Lehrbüchern.