Samstag, 10. September 2011

Freies Wissen für alle: Kann das funktionieren?


Wie entstehen Texte in der Wikipedia? "Da gibt es unterschiedliche Ansätze", sagte Magnus Gertkemper, langjähriger Wikipedianer und Administrator. "Manchmal ist es ein neuer Fußballspieler, mal ein neuer Film". Oft sei es erstmal ein Satz, ein sogenannter Stub. Wer ein bisschen erfahrener ist, weiß, wie Artikel aussehen sollen und kümmert sich um die Gliederung. "Wichtig ist einer, der anfängt".

Zusammen mit dem Bildungszentrum (BZ) der Stadt Nürnberg hatte die Wikipedia am 10. September zur öffentlichen Podiumsdiskussion eingeladen. Im Rahmen der WikiConvention 2011 diskutierten Wikipedianer mit Journalisten und Experten, moderiert von Peter Lokk.

Was sollte einer beherzigen, der bei Wikipedia mitmachen möchte? "Er sollte neutral bleiben", rät Magnus Gertkemper. "Manchmal kann man aber auch alles richtig machen, man bekommt trotzdem einen vor den Latz".

Wissenschaft und Journalismus
Wie stehen Wissenschaftler zur Wikipedia? Prof. Dr. Klaus Meier, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Institut für Journalistik, meint: "Die Wissenschaft hat Skepsis, wenn da jeder mitschreiben kann." Aber es gibt auch den Vorwurf an die Wissenschaft, dass sie so ein elitärer Haufen sei. Wie gehen Studierende mit der Wikipedia um? "Da hat es einen Lernprozess gegeben", meint Klaus Meier. Inzwischen werde hinterfragt. Man könne an der Wikipedia lernen, was der Kern der Wissenschaft ist, nämlich Quellenkritik. Das könne man gut mit Studierenden diskutieren.

Welche Rolle spielt Wikipedia für Journalisten? Wird Wikipedia als verlässliche Informationsquelle angesehen? Klaus Schrage, Journalist bei den Nürnberger Nachrichten, freigestellter Betriebsrat, Blogger "Hirndübel" sagt: "Journalisten glauben ja zunächst erstmal nicht, was da einer irgendwo sagt oder schreibt. Es gibt unterschiedliche Methoden. Zu den guten zähle ich: Sich einen Überblick über ein Thema zu verschaffen. Aber natürlich darf die Recherche bei Wikipedia nicht das Ende der Recherche sein. Weniger gut: Unter Zeitdruck "copy and paste" aus der Wikipedia in die eigene Publikation. Dass hier die Neuigkeit fehlt, ist schnell entlarvt.

Was macht die Foundation?
"Erst gab es Wikipedia, dann - zwei Jahre später - die Foundation", berichtet Ting Chen, Vorsitzender des Boards der Wikimedia Foundation in San Francisco. Jetzt unterstützt sie Wikipedia in Ländern, in denen das Freie Wissen noch nicht überall verfügbar ist.

"Mein erster Edit war ein Diskussionsbeitrag", sagt Pavel Richter, Geschäftsführer des Wikimedia Deutschland e.V. seit August 2009. Wikimedia wurde 2004 gegründet, Intention damals war: Anlaufstelle zu sein für Fragen, das ehrenamtliche Engagement zu unterstützen. Auch das Spendeneinwerben gehört zu den Aufgaben des Vereins. "Wir wollen Menschen überzeugen, dass es toll ist, Wikipedianer zu sein."

Was die Nutzer stört
Frage aus dem Publikum: "Wenn ein Admin meinen Beitrag löscht, komme ich nicht mehr dran. Das ist nicht fair!" Ein anwesender Administrator (Admin) hilft: Er stellt den Beitrag gern wieder im sogenannten Namensraum her. - Auch die unterdrückten Österreicher sind wieder Thema. -

Was machen Admins wirklich? Magnus Gertkemper erklärte: Nach einer öffentlichen Wahl erhält der neue Administrator erweiterte Möglichkeiten gegenüber den Nutzern. Zum Alltagsgeschäft zähle, den "ganz normalen Kleinvandalismus" zu korrigieren, etwa, was gelangweilte Schüler eintippen. Auch, wie wichtig das ein oder andere Sternchen tatsächlich ist, wird letztenendes nach der sogenannten Löschdiksussion vom Admin entschieden.

"Qualitätssicherung, die nicht weh tut, ist keine Qualitätssicherung", ergänzte Klaus Meier. Seine Kriterien: Vollständigkeit, Richtigkeit, Transparenz. Dazu gehören zum einen Quellenangaben, zum anderen die Frage der Autorschaft. Und das werde bei Wikipedia nicht immer erfüllt. "Weniger anonym zu agieren, wäre wünschenswert".

Es ist für Journalisten peinlich, zuzugeben, dass sie Wikipedia benutzt haben. Klaus Schrage fragte daher: Wie geht Wikipedia damit um? Tin Cheng antwortete: "Wir freuen uns, dass Sie Wikipedia benutzen". Ergänzung aus dem Publikum: "Wir freuen uns nicht, wenn einfach abgeschrieben wird, Weiterrecherchieren wäre besser!"

Frage aus dem Publikum: Lernen Studierende im Studium, mit Wikipedia zu arbeiten? Klaus Meier verwies auf Wikis, die anstelle von Seminararbeiten entstehen, aber auch Seminararbeiten, die gleich in Wikipedia integriert werden. Für Nachwuchswissenschaftler hingegen ist die Mitarbeit an Wikipedia wenig attraktiv, da sie Veröffentlichungen unter ihrem Namen vorweisen müssen.

Klaus Schrage: "Wenn da ein Admin meinen Text verändert oder einfach löscht – ich glaube, das ist einem Journalisten nicht so einfach zu vermitteln". Tin Chen schlägt vor, Journalistik-Studenten könnten Wiki-News schreiben, das wäre eine interessante Kooperation!

Ziko van Dijk: „Viele im Raum haben kein Zeitungsabo. Wir leben ein wenig auf Kosten derer, die ein Zeitungsabonnement bezahlen...“ Klaus Meier: Das Geschäftsmodell, Nachrichten zu verkaufen, ist in der Krise.“ Klaus Schrage: „Tageszeitungen haben sinkende Auflagenzahlen, es gibt weniger Werbeanzeigen. Dafür werden die Abogebühren erhöht. Die Frage ist: Wie kann man im Internet Geld verdienen?“

Warum gibt es ein Frankenwiki? Der Macher Clemens Helldörfer: Service für die Leser, Zeitungsarchiv, macht die Zeitung bekannt in der Region. Frage aus dem Publikum: Wäre es nicht eine gute Idee, solche Regionalwikis in Wikipedia zu integrieren, so dass es eine gemeinsame Benutzeroberfläche gibt?

Wie wird das Geld für die Foundation verwendet? Ting Chen nennt den veröffentlichten Jahresbericht und die Steuererklärung. „Wir wollen nicht möglichst viel Geld einsammeln, sondern wir haben Ziele für das nächste Jahr – und dafür sammeln wir dann Geld.“

Frage aus dem Publikum zu Wikipedia in China. Ting Chen: „Wir haben im Moment ein angenehmes Verhältnis zur chinesischen Regierung. Wir werden nicht blockiert – anders als andere Medien.“ Das kann aber morgen schon wieder anders sein. Die Community in China wächst, und es gibt erhöhten Zugriff aus China.

Pavel Richter stellte das aktuelle Projekt vor, Wikipedia solle als Weltkulturerbe anerkannt werden. Es wäre das erste digitale Monument, das von der Unesco anerkannt würde. Auf de.wikipedia.org gibt es eine Online-Petition, die man unterschreiben kann.

Wie geht es mit Wikpedia weiter?
Pavel Richter: Vorhersagen über einen Zeitraum von zehn Jahren sind Selbstmord... Wikipedia sollte ein Anlaufpunkt für Wissen sein.
Magnus Gertkemper: „Ich wünsche mir, dass der Zugang zum Freien Wissen noch besser wird, und dass Leser noch mehr zum Mitmachen eingeladen werden.“
Klaus Meier: Wissenschaft und Wikipedia werden getrennte Welten bleiben. Schön wäre, wenn die Mitarbeit bei Wikipedia für junge Wissenschaftler besser anerkannt würde.
Ting Chen: Eine spannende Entwicklung könnte sein, gesprochene Sprache aufzuzeichnen, bedrohtes Wissen aufzubewahren und der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.
Klaus Schrage: Entweder geht’s gut. Oder die Leute empfinden es normal, dass es Wikipedia gibt, und engagieren sich immer weniger. Ich hoffe aber sehr, es geht gut, denn es ist ein tolles Projekt!

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